Die Geschichte des Gins – von sozialen Abstiegen hin zu ungeahnten Höhen
Gin Craze – die soziale Sollbruchstelle des Genusses
Die Massenware Gin entwickelte sich vor allem zu Lasten der Qualität der Destillate. Aus dem Jahr 1729 liegen Zahlen vor, nach denen es allein in London 1.500 sogenannter compound distillers gab. Jene Geschäfte, in denen Rohbrand mit Kräutern und Gewürzen versetzt wurde. Zur selben Zeit jedoch sind nur 24 Großdestillerien bekannt, die den Getreidealkohol und qualitativen Aspekten herstellten. Man kann davon ausgehen, dass alleine in diesem Jahr 20 mio. Liter Gin – zumeist von zweifelhafter Qualität – hergestellt und vor allem konsumiert wurden. Dies zog im selben Jahr den ersten Gin Act nach sich, der eine Besteuerung von 5 Schilling pro Gallone einforderte. Diese Besteuerung der aromatisierten Spirituosen bewog viele Hersteller in die Illegalität, was die Qualitätskontrolle und natürlich die Durchsetzung qualitativer Standards nur noch unmöglicher machte. Was folgte war ein haltloses Chaos und ein stetiger Anstieg des illegalen Alkohols in Produktion und Konsum. Angeblich wurden im Jahr 1733 mehr als 40 mio. Liter Gin bei nur 500.000 Einwohnern allein in und um London gehandelt und getrunken – und dabei handelt es sich um mehr oder weniger legal gehandelte Ware. Diese Zeit ist in die Geschichtsbücher eingegangen als sogenannter Gin Craze. London war in den armen Stadtteilen eine durch Wacholder und Alkohol geschwängerte Hölle von Armut, Gewalt, Prostitution und Verzweiflung. Traurige Berühmtheit erlangte die Geschichte der jungen Mutter Judith Defour, die im Jahre 1734 ihre Tochter tötete, die Kleidung des Kindes verschacherte und sich von dem Erlös ein paar Gläser Gin erwarb.
Wie ein Ire die Welt verändert
Der globale Siegeszug des Wacholder
Die erste Erwähnung fand diese Art des Mischgetränks im Mai 1806. In der Zeitschrift The Balance and Columbian Repository wird ein belebender Mixdrink erwähnt, der aus den Zutaten Spirituose, Zucker, Bitters und Wasser besteht und den Namen Cocktail trägt. Schnell wurde diese Form des alkoholischen Getränks populär und breitet sich nicht nur über die Vereinigten Staaten aus. Auch im alten Europa erfreute man sich der belebenden Wirkung und des neuen Flairs der Institution Cocktail-Bar. So eröffnete 1874 Leo Engel die erste Bar nach amerikanischem Vorbild am Picadilly Circus – The Criterion. Es war auch die Zeit der ersten großen Bartender und ihrer Rezeptsammlungen. Erwähnt seien an dieser Stelle die beiden Pionieren Jerry Thomas (Bartenders Guide – How to mix Drinks, 1862) und Harry Johnson (Bartenders Manual, 1882). Und mit Ihnen wurde Gin noch populärer als er es zu Zeiten der Gin Palace war. Doch noch war es Holland Gin und Dutch Gin, der die große Menge ausmachte. Noch 1880 importierten die USA sechs mal so viel Genever aus den Niederlanden wie Gin aus England. Doch mit dem Ausgehenden 19. Jahrhundert schwand auch der machtpolitische Einfluss der Niederlande – besonders in Bezug auf die Kolonien – und somit sank auch die Wirtschaftskraft des kleinen Staates.
Bild links: der König der Cocktails – der Martini | © www.spirit-ambassador.de
Die letzte Gin-Naissance – das 21. Jahrhundert
Doch die Zeiten sollten sich ändern. Wieder waren es die Menschen hinter den Tresen dieser Welt, die der Kategorie Gin neues Leben einhauchten. Bartender wie die Hamburger Größe Jörg Meyer aus dem Le Lion entdeckten Ende der 2000er Jahre Wacholder für sich und begeisterten schnell eine immer größer werdende Menge an Enthusiasten für klassische Drinks mit Gin. Allen voran schreitet der bekannteste Gin-Drink der Welt, der Gin and Tonic! Das Portfolio der meisten Bars heute in Bezug auf Wacholder ist gigantisch. Selten lassen sich weniger als 5 Gins finden, häufig sind es weit über 20 – ja zum Teil mehr als 100.
Drei Vertreter der neuen Gin-Ära. Ob die Inspiration und die Botanicals aus Afrika, dem heimischen Schwarzwald oder den Makaronesischen Inseln kommt – erlaub ist, was gefällt |
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